Yeahsterday
Stories in the sky with diamonds
Veröffentlicht: 17. Dezember 2007
Im Frühjahr 2007 hatten wir im Forum der Erdbeerfelder eine Neuregistrierung, und zwar die des Autors Holger Dittmann. Dieser veröffentlichte zuletzt mehrfach für den Kleinverlag Lerato. Es dauerte nicht lange, bis Holger im Erdbeerfelder-Forum von einer neuen Ausschreibung des Lerato-Verlags berichtete, für die er dieses Mal als Autor und (zusammen mit Elke Schleich) als Herausgeber verantwortlich zeichnen wollte. Das noch namenlose Projekt lief im Forum unter „Literarisches für Lerato“ und wandte sich an Beatles-Fans mit Neigung zum Schreiben. Aufgabe war es, seinen persönlichen Bezug zu den Beatles zu Papier zu bringen. Dies konnte sowohl in Form von Prosa als auch Lyrik geschehen.
Insgesamt gingen bei den Herausgebern über 60 Beiträge ein, von denen 31 (inkl. Dittmann/Schleich) den Weg in die spätere Anthologie „Yeahsterday“ fanden. Von Seiten der Erdbeerfelder sind lediglich Nils Dibbern und ich selbst vertreten. Mein Text schlummerte eine Weile in der Schublade und war eigentlich für einen Kreativaufgabe anlässlich eines Erdbeerfelder-Preisausschreibens eingeplant. Die Teilnehmer sollten einen vorgegebenen Textanfang fortsetzen. Die Idee wurde nicht umgesetzt und so blieb es vorerst bei einem Textfragment. Erst die Lerato-Ausschreibung ließ mich die Geschichte wieder hervorholen und schließlich auch vollenden.
„Hi-Hi-Hilfe!“ ist durchaus autobiographisch geprägt. Im Juli 1968 war ich zwar erst drei Jahre alt. Doch quasi zum Trotz erfand ich ein Alter Ego, das mir nicht unähnlich war. Dass es in dieser Kurzgeschichte trotzdem einen Bezug zum realen Ansgar gibt (als Kleinkind wegen der Schwierigkeiten, den eigenen Namen auszusprechen „Gaga“ genannt), war für mich selbstverständlich. Leider fiel die entsprechende Passage dem Lektorat zum Opfer. Das gefiel mir zwar nicht (wie mir auch die Verwendung der alten Rechtschreibung im Buch missfällt), doch ich wollte auch keinen Ausschluss vom Buchprojekt riskieren und erteilte meine Genehmigung.
Hier nun gewissermaßen der „Author’s Cut“ – die komplette, ungekürzte Fassung. Bis auf meinen persönlichen, fiktiven Anteil ist die erwähnte Aufnahme der Beatles bei Trident zu dieser Zeit historisch belegt. Nun bleibt mir noch, euch und Ihnen viel Spaß beim Lesen zu wünschen und wenn dieser Text das Interesse geweckt hat, dann verweise ich noch auf Daten, Inhalt und Bestellmöglichkeiten am Ende des Textes.
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Hi-Hi-Hilfe!
An einem bitterkalten Januartag saß ich, tief in Gedanken versunken, entgegen meiner früheren Gewohnheit nicht im Old Friar, sondern in Mo’s Seafood, einem leicht heruntergekommenen Lokal am Leicester Square. Mein Bein schmerzte wieder und ich blätterte flüchtig im „Daily Mirror“.
Den Neuanfang in England hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Ich hatte die Nase gestrichen voll vom tristen Einerlei in Norddeutschland und fühlte, dass mir nichts besser bekommen würde als ein radikal neuer Lebensabschnitt. Im Sommer 1967 kündigte ich meinen Job in der Druckerei, kratzte meine Ersparnisse zusammen und lieh mir mit schlechtem Gewissen noch 600 Mark von meiner Schwester. Über in Osnabrück stationierte englische Soldaten, die ihren Heimaturlaub antraten, gab es eine preiswerte Möglichkeit nach England zu kommen.
Ich hatte keinen Schimmer, wie ich mein Leben auf der Insel organisieren sollte. Aber ich war erwartungsfroh, musikverrückt und deshalb aufgeregt, nun ins Swinging London eintauchen zu können. Ich nahm mir ein Zimmer in der Nähe der Marylebone Road und verdiente mein Geld mal hier, mal da. Ende November wurde ich auf dem Heimweg vom einem Taxi angefahren und brach mir das Bein. Die letzte Beschäftigung in einem Kiosk war ich los und meine Geldreserven erreichten bald einen bedenklichen Tiefstand. Nur durch die Gitarrenstunden, die ich vier Mal wöchentlich gab, war es möglich, einigermaßen über die Runden zu kommen.
Kein schöner Jahresausklang und ein erbärmlicher Start ins neue Jahr 1968. So schien es jedenfalls. Während ich nun die Seite mit den Stellenanzeigen erreichte, blieb mein bisher gelangweilter Blick an einem kleinen Inserat hängen. Das klang nicht übel: Bürohilfe per sofort gesucht, Trident Studios, 17 St. Anne’s Court, Soho. Ich horchte in mich hinein. Was mochte das sein – ein Filmstudio oder sogar … ein Tonstudio? Meine alte Beweglichkeit war noch nicht wieder ganz hergestellt, aber die Aussicht, möglicherweise in der Musikbranche arbeiten zu können, weckte meine Lebensgeister.
Bereits am späten Nachmittag später hatte ich einen Termin für ein Vorstellungsgespräch. Ich hätte dem Personalchef um den Hals fallen können, als er mir die feuchte Hand schüttelte und sagte: „Dann sehen wir uns morgen um 8 Uhr.“ Trident war ein relativ kleines, aber doch modernes Aufnahmestudio mitten in Soho. Im Gegensatz zu vielen anderen Studios, die in den sechziger Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen, wurde bei Trident bereits mit acht, statt mit vier Tonspuren gearbeitet. Von all dem, was hinter dem Kontrollraum passierte, bekam ich allerdings nicht viel mit. Ich war im Grunde ständig auf Achse um Botengänge zu erledigen, jedoch ganz zufrieden damit. Im Mai allerdings fiel mir allerdings die komplette Geschäftspost aus den Händen, als The Move durch die Eingangstür kamen. Im Schlepptau hatten sie einen schlaksigen dunkelhaarigen Jüngling: Jimmy Page von den Yardbirds. Meine erste Begegnung mit richtigen Popstars.
Mit der Zeit hatten sich die Vorzüge des Studios offensichtlich herumgesprochen. Am 30. Juli herrschte eine aufgekratzte, fast hysterische Stimmung, die mir nach meinen bisherigen Erfahrungen bei Trident unbekannt war. Völlig ratlos wandte ich mich an meine Chefin Loretta Martin. In pseudo-konspirativem Ton raunte sie mir zu: „Morgen kommen die Beatles …“
Als ich am nächsten Morgen aufstand, fiel mir am Frühstückstisch auf, dass mein Küchenkalender immer noch den 26. Juli anzeigte. „Gaga“ stand auf dem Kalenderblatt, eine Gedächtnisstütze, meine Schwester in Deutschland anzurufen, denn an jenem Tag feierte mein Neffe (Gaga war sein Spitzname) seinen dritten Geburtstag. Ich hatte vergessen, das Blatt abzureißen, wie ich auch so viele Dinge in der Küche vergessen hatte. Es sah dort überhaupt nicht gut aus. Die Spüle stand voll, auf dem Boden lagen unzählige Krümel vom Brot schneiden, das Altpapier nahm die Form eines ansehnlichen Turmes an und neben dem Kühlschrank stand eine bunte Mischung aus leeren Bierflaschen unterschiedlicher Hersteller. Als alter Freund der Biere von Beck & Co. konnte ich mich immer noch nicht für ein englisches Gebräu entscheiden. Am besten gefiel mir bis jetzt ein Londoner Traditionstropfen namens „Young‘s RamRod Famous Ale“. Aber das war jetzt alles egal. Ich riss alle Kalenderblätter ab, bis ich den 31. Juli erreichte. Diesen Mittwoch würde ich nicht so schnell vergessen, das war mir schon in dem Moment klar.
Auf dem Weg zu Trident dachte ich in der Tube über die Beatles nach. Meine Schallplatten hatte ich im letzten Jahr nach meinem teuer bezahlten Weihnachtsbesuch in Deutschland mit auf die Reise genommen. Es waren auch nicht sonderlich viele, etwa ein gutes Dutzend – darunter die Beatles-Alben seit „Help!“, „Pet Sounds“ von den Beach Boys, „Sounds Of Silence“ von Simon & Garfunkel, ein bisschen Klassik und auch zwei alte Hörspielplatten vom „Old Surehand“. Dazu kamen etliche Singles, die meisten davon nur noch ohne Hülle, aber die Beatles-Singles waren so gut wie unversehrt. Die Rolling Stones gingen damals noch irgendwie an mir vorbei. Die Beatles dagegen hatten etwas ganz Eigenes. In vielen ihrer Songtexte fand ich mich wieder und ihre umwerfenden Melodien gingen mir, sobald ich sie zum ersten Mal hörte, nicht wieder aus dem Kopf. Und was waren das erst für starke Persönlichkeiten – John, Paul, George und Ringo! Jeder irgendwie anders und doch eine untrennbare Einheit. In Sachen Lieblingsbeatle war zunächst John mein Favorit, später schwankte ich dann immer zwischen Paul und George.
Seitdem ich in England lebte, hatte ich unerwartet wenig von den Beatles mitbekommen. Anfang des Jahres las ich, dass die Gruppe sich zum Meditieren nach Indien begab. Man hatte spätestens bei „Within You Without You“ vom letzten Album gemerkt, dass das alles für die Beatles wohl keine Masche oder Werbe-Gag war. Sie nahmen das sehr ernst, obwohl ich meinte mich erinnern zu können, dass Ringo Starr von dieser Reise nicht sonderlich erbaut gewesen sein sollte. Doch ich fand die neue Orientierung der Beatles sehr interessant, hatten mich doch bereits die fremden, hypnotischen Klänge von Georges „Love You Too“ schon 1966 in den Bann gezogen.
Können Sie sich das vorstellen, wie mir an jenem Tag zumute war? Die leibhaftigen Beatles! An meinem Arbeitsplatz! Ich hatte mich immer geärgert, dass ich es vor zwei Jahren nicht hinbekommen hatte, mir das Beatles-Konzert in Hamburg anzusehen. Urlaub hätte ich mir gar nicht nehmen brauchen, denn der Auftritt fand ja an einem Sonntag statt. Und nun würde ich sie direkt vor meiner Nase haben. Hoffte ich jedenfalls. Doch das Ereignis ließ auf sich warten. Ich wurde immer ungeduldiger. Gegen Mittag trugen sich zwei Mitarbeiter der Beatles ins Studio-Protokollbuch ein. Sie brachten Instrumente und Verstärker. Schnell warf ich unserer Empfangsdame, Miss O’Dell, einen Blick über die Schulter: Aha, Malcolm Evans und Neil Aspinall hießen die. Nie gehört.
Nachdem ich vom Postamt zurückkehrte – noch nie hatte ich diesen Weg so schnell zurückgelegt – waren die Beatles immer noch nicht da. Doch dann ging’s los. Mrs. Martin stürzte keuchend zur Tür herein. „Bleibt bloß locker, Leute. Sie kommen!“ Es kam dann aber erst einmal nur einer: Paul McCartney. Sah eigentlich aus wie immer, er hatte nur einen etwas merkwürdigen, pinkfarbenen Anzug an. Ich starrte ihn ungläubig an, als er nach freundlicher Begrüßungsgeste von Aspinall geradewegs Richtung Kontrollraum geführt wurde. Der war erstmal weg. Zeit zum Luftholen. Die anderen Beatles kamen dann in zwei Schüben. Erst George und Ringo – laut scherzend – und etwas später dann John mit dieser Japanerin, die ihm neuerdings nicht mehr von der Seite wich. Wahnsinn!
Ich könnte jetzt eine abenteuerliche Geschichte erzählen – es gab sie aber nicht. Moment, es gab sie doch! Jedenfalls aus meiner Sicht. Es war ja nicht so, dass ich unvorbereitet war. Ich hatte meine „Help!“-LP mitgebracht. Nur für den Fall, dass sich eine Gelegenheit für ein Autogramm ergab. Irgendwann kam mir Evans entgegen. Er hatte eine Kanne frisch gebrühten Tee in der Hand und stieß beinahe mit mir zusammen. „Tut mir Leid“, stammelte ich. „Mach dir nichts draus“ war die Antwort des Typen, der groß wie ein Bär, aber dabei überaus gutmütig war. Ich fasste schließlich Mut, rannte ihm mit meiner Platte hinterher und rief: „Ob’s wohl möglich ist, die hier signiert zu bekommen?“. „Sicher. Komm mit!“ Meine Güte, das hätte ich ja gar nicht erwartet! Da saßen sie also alle zusammen im Kontrollraum und hörten sich eine Aufnahme an, die sie wohl gerade gemacht hatten. Paul sang. Eine Ballade, die mir sofort ins Ohr ging. Ich wusste erst gar nicht, was genau er da sang. Erst später, als der Song veröffentlicht wurde und wochenlang auf Platz 1 der Hitparade war, erfuhr ich den Titel: „Hey Jude“. Sie saßen also da und diskutierten gerade darüber, ob George auf jedes „Hey Jude“ mit einem entsprechenden Echo auf seiner Gitarre antworten sollte. Malcolm Evans stellte mich und mein Anliegen kurz vor, was die Gespräche abrupt enden ließ und alle Blicke auf mich lenkte. Au weia, bloß schnell wieder raus hier! Doch dann griff John, inzwischen mit Mittelscheitel und schulterlangem Haar, nach der „Help!“-LP. Er blickte still auf das Cover und betrachtete dann offenbar das große „Hör Zu“-Logo und die deutsche Aufschrift „Die Originaltitel aus dem Beatles-Film der United Artists ‚HI-HI-HILFE‘“. Dann platzte es aus ihm in gebrochenem Deutsch und mit dröhnender Stimme heraus: „Meine Härren, das iss gutt deutsch Junge! Säääähr gutt!“ George zeigte sein schiefes Grinsen und stimmte mit ein: „Einä Tassä Tee, bitte!“ Schallendes Gelächter von allen Seiten. John fragte nach meinem Namen, setzte Widmung und Unterschrift darauf und reichte das Cover an Ringo, Paul und zuletzt George weiter. Ich bedankte mich artig auf Deutsch und verließ völlig benebelt und rückwärts tapsend den Kontrollraum.
Die Beatles als Gruppe sah ich danach nicht wieder. Ich hatte kurz darauf ohnehin Feierabend und die Beatles waren bekannt dafür, dass sie erst spät anfangen richtig zu arbeiten. An den nächsten zwei Tagen und an einem weiteren Tag kam nur noch Paul McCartney zu Trident, um Aufnahmen mit Orchestermusikern zu überwachen, die „Hey Jude“ den letzten Schliff geben sollten. Ich sah ihn nur kurz im hinteren Flur, als er vor der offensichtlich besetzten Toilette nervös von einem Bein aufs andere wippte. Er zwinkerte mir zu und knurrte: „Hi-Hi-Hilfe!“
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Als ich im Dezember 2007 das Buch erstmals in den Händen hielt, war meine Freude etwas getrübt durch die äußere Erscheinung. Covergestaltung und Satz stießen mich eher ab und wirkten lieblos und billig auf mich. Doch es ist keine neue Erkenntnis, wenn man sagt, dass es nicht aufs Äußere, sondern auf den Inhalt ankommt – und der ist gut. Innerhalb eines Abends hatte ich das Buch durch und war von der Vielfältigkeit der Beiträge ganz angetan. Solltet Ihr / Euer Interesse geweckt worden sein, so sind hier Daten und Bestellmöglichkeiten aufgeführt:
Yeahsterday: Storys in the sky with diamonds
Elke Schleich / Holger Dittmann (Hrsg.)
Taschenbuch: 122 Seiten
LERATO-VERLAG
ISBN: 978-3-938882-66-5
Inhalt:
Inhaltsangabe: Vorwort: Is there anybody going to listen to our stories ..?
Anmerkung; Zutaten für eine erfolgreiche Boygroup in den Sechzigern (Jenny Stegt)
Yeah, yeah, yeah! (Holger Dittmann)
Was bleibt (Bettina Buske)
Beatlemania in Dresden (Andrea Noack)
Norwegian Wood (Peter Ettl)
Martha My Dear (Wolfgang Hirschner)
In den grün-gelben U-Boot leben wir (Sandra Zydek)
Danke, Mama! (Nils Dibbern)
Leaving Home (Janna Ramm)
Komm, gib mir deine Hand (Elke Schleich)
Zungenkuß (Christiane Weber)
Einiges vor 69 (Manfred Pricha)
„Cos I’m not gay, motherfucker!“ (Christian Perko)
Hi-Hi-Hilfe! (Ansgar Bellersen)
Der Tag des Klatschmohns (Karen Grol)
Yesterday (Gilmour/Waters/Mason/Wright) (Florian Heller)
Renate (Armin Bings)
Als die Beatles nach Tomah kamen (Susan Szabo)
Can’t Buy Me Love (Bernd Rümmelein)
Finger weg! (Amadeo Mena Vicente)
Fast ein Beatle oder I saw her standing there (Chris Lind)
Meine erste Liebe (Stephan Bordt)
Walrus Meets Honey Pie (Jürgen Miedl)
Im Zimmer meiner Ex-Freundin (Arno Endler)
Spoiling the Party (Cornelia Koepsell)
Die armen Friseure von Liverpool (Silvia Friedrich)
Das Pilzkopf-Orakel (Anja Labussek)
Yesterday (Elke Schleich)
Ich bin die Beatles (Stefan Schneider)
Das ist Musik! (Ednor Mier)
… but it all works out (Plunki Stanorkel)
Als Mutter twistete (Reinhard Stöckel)
Maxwell und Joan (Desmond Jones)
Beatles oder Pizza? (Jenny Stegt)
Über die Autoren
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