The Death and Life of Mal Evans – A Novel
Peter Lee
Erstveröffentlichung: August 2015
297 Seiten in englischer Sprache
Avony Publishing, LLC – Lawrenceville, Georgia
ISBN: 978-0-9965127-1-8
Preis: 11,33 €
Neulich unterhielt ich mich mit einer Bekannten über Mal Evans. Sie konnte den ehemaligen Roadmananger der Beatles seinerzeit zu ihrem Freundeskreis zählen. Ich sprach meine Verwunderung darüber aus, dass es keine vernünftige Buchveröffentlichung über diesen bemerkenswerten Mann gäbe, fügte aber noch hinzu, dass ich dies ganz aktuell mal überprüfen wollte. Zu meiner Überraschung stellte sich dann doch heraus, dass vor wenigen Jahren ein Buch über Mal erschien. Auf den zweiten Blick begriff ich, dass es sich nicht um eine Biografie, sondern um einen Roman handelte. Dennoch zögerte ich nicht und bestellte.
Malcolm Evans, den alle nur Mal nannten, war weit mehr als nur der Roadie der Beatles. Die Fab Four lernten den Liverpooler vor ihrem internationalen Durchbruch kennen. Er arbeitete als Türsteher im Cavern Club, kümmerte sich auf den Tourneen um das Equipment der Band, wurde zu ihrem persönlichen Assistenten mit vielfältigsten Aufgaben, wirkte bei den Aufnahmen verschiedenster Songs der Beatles- und Ex-Beatles mit und zeichnete schließlich sogar für den Hit „No Matter What“ der Apple-Band Badfinger als Produzent verantwortlich. Mit anderen Worten: Er war ganz, ganz dicht dran an John, Paul, George und Ringo. In Originaltönen und in Büchern wird Mal Evans stets als überaus gutmütiger und sanfter Typ mit der Statur eines Bären beschrieben. Er beklagte sich nie; auch nicht darüber, dass sein Wochenlohn über all die Jahre bei £38 blieb.
Nach dem Auseinanderbrechen der Beatles hielt Mal in den ersten Jahren noch den Kontakt zu George, John und Ringo, war sich dann aber bald selbst überlassen. Über seine Zeit mit den Beatles hatte er nun vor, ein Buch zu schreiben („Living The Beatles‘ Legend“) und holte sich dafür auch die Erlaubnis der Band. In seinem Privatleben lief es indes aber alles andere als gut, so dass Mal bald von Depressionen heimgesucht wurde. Am 5. Januar 1976 geriet er unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln in eine Rangelei mit seinem Co-Autor, der schließlich einen Notruf absetzte. Als die Polizei erschien, richtete Mal Evans ein Luftgewehr auf die Beamten. Statt deeskalierend zu handeln, erschossen die Polizisten mit sechs Kugeln den Mann, von dem man sagte, er könne keiner Fliege etwas zuleide tun. Auch Mal Evans‘ Schicksal zeigt, wie viel Tragödie in der Geschichte der Beatles steckt.
Das Buch deutet in seinem Titel bereits an, dass Peter Lee in seinem auf Mal Evans‘ Leben basierenden Roman mit Evans‘ Tod an jenem schrecklichen Januartag des Jahres 1976 beginnt und sich anschließend seinem Leben widmet. Aber wie? Der Autor beginnt zunächst mit den scheinbar letzten Gedanken des Niedergeschossenen. Dessen bewegtes Leben zieht an seinem geistigen Auge vorbei und erklärt dem Leser auf diese Weise im Schnelldurchgang, um welchen besonderen Menschen es sich hier handelt. Nahtlos ist nun der Übergang zu dem, was gemeinhin als Fan-Fiction bezeichnet wird. Der erwartete Tod kommt nicht. Stattdessen findet sich Mal im Büro von John Lennons Anwesen Tittenhurst Park wieder. Es hat offensichtlich eine Zeitreise stattgefunden, denn die Tageszeitung auf dem Schreibtisch ist mit dem 12. September 1969 datiert. Evans sieht mit diesem Datum das Ende der Beatles besiegelt, denn es ist historisch belegt, dass nur einen Tag später das erste Konzert eines Beatles nach dem letzten Auftritt der Band am 29.08.1966 stattfand. John Lennon kämpfte sich praktisch ungeprobt mit der aus Yoko Ono, Eric Clapton, Klaus Voormann und Alan White bestehenden Plastic Ono Band durch ein abenteuerliches Set beim Toronto Rock And Roll Revival Festival. In Peter Lees Buch bekommt nun Mal Evans die Chance, durch eine Beeinflussung der Vergangenheit die Zukunft der Beatles zu verändern.
Der „Live Peace in Toronto“-Auftritt wird schließlich zu einem Fiasko und John Lennon muss einsehen, dass er bei den Beatles besser aufgehoben ist. In der Folge vermischen sich tatsächliche mit erfundenen Ereignissen. Trotz unübersehbarer persönlicher und musikalischer Differenzen bleiben die Beatles zusammen und nehmen immerhin drei weitere Alben auf. Als informierter Fan wundert man sich zuweilen über real existierende Ex-Beatles-Songs, die zu früh oder zu spät für ein „neues“ Beatles-Album verwendet werden. Auch das Konzert für Bangladesch findet beispielsweise zu einem anderen Zeitpunkt, an einem anderen Ort und mit anderen Künstlern statt. Darüber hinaus hat George Harrisons „My Sweet Lord“ Plagiatsprozess schwerwiegerndere Auswirkungen als in der wahren (Ex-)Beatles-Historie. Selbst John Lennons tragisches Ende ist in diesem Roman ein anderes als das, was wir kennen. Am Schluss hebt der Autor die Geschichte auf eine philosopische und metaphysische Ebene. Gewagt und vielleicht auch etwas dick aufgetragen, aber durchaus machbar. Erzählt wird dies alles aus Mal Evans‘ Ich-Perspektive.
Viele der teilweise irritierenden gestalterischen Entscheidungen werden im Anhang von Peter Lee nachvollziehbar erklärt. Es unterlaufen Lee zugegebenermaßen ein paar Recherchefehler [von einem peinlichen Schreibfehler („Klaus Voorman“) abgesehen], aber wem wird schon auffallen, dass der letzte Song bei Little Richards Auftritt in Toronto nicht „Tutti Frutti“, sondern „Long Tall Sally“ war? Auch wenn ich hin und wieder den Eindruck hatte, dass John, Paul, George und Ringo sich verbal anders ausgedrückt und auch anders vehalten hätten, ist „The Death and Life of Mal Evans“ ein Buch, das unterhält, leicht zu lesen ist und dem Traum von einer längeren aktiven Zeit der Beatles Leben einhaucht. Wer hat schon nicht gerne selbst eine Playlist eines Fantasie-Beatles-Albums erstellt, das aus den Solosongs von John, Paul, George und Ringo besteht? Besonders die kreative Zeit Anfang der 70er Jahre ist hierfür hervorragend geeignet. Hier schöpft der Autor aus dem Vollen. Wenn es wahrscheinlich auch nicht der allerklügste, sprachlich brillianteste und dramaturgisch raffinierteste Beatles-Roman der Welt ist: Das Buch setzt Mal Evans in all seiner Tragik ein liebenswertes Denkmal und macht an jeder beliebigen Stelle neugierig, wie es wohl auf der nächsten Seite weitergeht. Um mit der Widmung des Autors zu schließen:
„To Mal Evans, who deserves the title of the Fifth Beatle as much as anyone, and whose memoirs would have been a fascinating read for all Beatles fans.“ – Peter Lee